Tunisreise 1914: Anfang des 20. Jh. machten sich viele Maler, Gelehrte und Schriftsteller auf den Weg, den Orient zu erkunden und dabei anderen Kulturen zu begegnen. So reisten im April 1914 drei Maler mit einer Fähre namens Carthagé von Marseille nach Tunis. Die Rede ist von den Expressionisten August Macke, Paul Klee und Louis Moilliet. Die Tunisreise erlangte als Künstlerreise später legendäre Bedeutung. Zusammen mit Goethes Italienreise zählt sie zu den berühmtesten Reisen der deutschen Kulturgeschichte.
Von den künstlerischen Hochleistungen können wir uns bis heute in vielen Museen der Welt überzeugen, so z.B. im Lenbachhaus in München. Der Kunsthistoriker Günter Busch veröffentlichte 1958 die erste monografische Publikation zur Tunisreise und sprach von der Reise als ‚Sternstunde der Menschheit‘. Sie ist in der Tat ein großes Beispiel für die vielfältigen kulturellen Begegnungen des Okzidents mit dem Orient.
Bis ins 20. Jh. war der Orient den meisten Menschen nur aus Berichten von Händlern, Reisenden und Wissenschaftlern bekannt. Die Menschen verbanden mit dem Orient etwas Fantastisches und Geheimnisvolles, aber auch etwas Beängstigendes. Wie auch heute war das europäische Orientbild von Überlegenheitsvorstellungen und machtpolitischen Intentionen geprägt.
All das, auch das wachsende Interesse Frankreichs an Nordafrika Anfang des 20. Jahrhundert, führte dazu, dass sich viele europäische Künstler thematisch der Welt des Islams zuwendeten.
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Hochwertiger und informativer Bildband über die Tunisreise 1914
Fasziniert von Licht, Farbe und Form
Für die drei Maler Macke, Klee und Moilliet war die Tunisreise weit mehr also eine touristische Reise nach Nordafrika. Für die Maler bedeutete die Reise eine Auseinandersetzung mit dem Licht, der Farbe und der Form.
Als die drei sich noch auf dem Schiff nach Tunis befanden, notierte Klee bereits die ersten Farbeindrücke. Die Farbe des Wassers und der Luft erschienen ihm bereits intensiver. Als zum ersten Mal die nordafrikanische Küste mit der Silhouette der Weißen Stadt Sidi Bou Said auftauchte, erkannte er sofort ‚die streng rhythmischen weißen Hausformen‘ und realisierte zum 1. Mal die ‚Leibhaftigkeit des Märchens‘.
Bei der Ankunft in Tunis am 7. April 1914 schrieb Klee folgendes in sein Tagebuch: ‚Die Sonne von einer finsteren Kraft. Die farbige Klarheit am Lande verheißungsvoll. Der Macke spürt das auch. Wir wissen beide, dass wir hier gut arbeiten werden.‘ Noch am gleichen Abend machte sich das Künstler-Trio auf in die Medina von Tunis. Am nächsten Morgen begannen Macke, Klee und Moilliet die faszinierende fremde Welt zu zeichnen und zu aquarellieren.
Und Paul Klee irrte sich nicht. Ihre Eindrücke auf ihrer Tunisreise inspirierte sie zu künstlerischen Höchstleistungen; in weniger als 14 Tagen malte Paul Klee 30 Aquarelle und August Macke 33 Aquarelle und 79 Zeichnungen. Louis Moilliet war etwas weniger produktiv.
Seiner Frau Lisbeth schrieb August Macke: ‚Wir sitzen hier mitten in der afrikanischen Landschaft, zeichnen, schreiben, Klee aquarelliert. (…) Ich habe heute schon sicher 50 Skizzen gemacht. Gestern 25. Es geht wie der Teufel, und ich bin in einer Arbeitsfreude, wie ich sie nie gekannt habe.‘
Es folgten Ausflüge nach Sidi Bou Said, Hammamet und Kairouan. In Hammamet notierte Klee: ‚Die Stadt ist fabelhaft, am Meer gelegen, winklig und rechtwinklig und wieder winklig.‘
Die letzte Station der Reise war Kairouan und zugleich ihr Höhepunkt. Nach Mekka, Medina und Jerusalem ist Kairouan die 4. heiligste Stadt im Islam. Völlig überwältigt schrieb Klee über Kairouan: ‚Tausend und eine Nacht, welch ein Aroma, wie durchdringend, wie berauschend, wie klärend zugleich.‘ Am Ende der Reise erreichte Klee seinen Durchbruch: ‚Die Farbe hat mich. (…) Sie hat mich für immer (…) ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.‘
Für Macke war die Reise die Vollendung seines Werkes
Auch für Macke war die Reise aufregend und inspirierend. Nach seiner Rückkehr schrieb er an seinen Mäzen Bernhard Koehler und bedankte sich für dessen finanzielle Unterstützung: ‚… dass die Ausbeute dieser Reise Dich dafür entschädigen wird. (…) Unsere Reise war ganz köstlich. Ich rate Dir dringend das auch mal zu machen. Es ist ganz kolossal interessant.‘ Er malte ihm wenig später das Bild ‚Türkisches Café II‘ , eines seiner gelungensten Werke.
Und wenn man daran denkt, dass August Macke im 1. Weltkrieg bereits im September 1914 in der Champagne fiel, dann ist im Nachhinein sein künstlerisches Schaffen in Tunesien – und kurz danach – die Vollendung seines Werkes.
Für Klee war die Tunisreise über Jahre eine wichtige Inspirationsquelle. Bis in die 30er Jahre schuf er über 20 Werke, die von den Erinnerungen an diese Reise geprägt waren.
Im Jahre 1921 schrieb der Kunstkritiker Wilhelm Hausenstein das Buch ‚Kairuan – Eine Geschichte vom Maler Klee‘. Darin beschreibt er Klees Schaffenszeit als ‚Weg der radikalen Abkehr vom Materialismus des Okzidents hin zur Spiritualität des Orients‘.
Die Aura des Fremden und Exotischen führte zur Selbstverwirklichung
Für alle drei war Tunesien von einer Aura des Fremden und Exotischen umstrahlt. Sie waren von der exotischen Kultur und dem intensiven Licht Nordafrikas begeistert. Ihre Faszination für das Fremdländische führte sie zur künstlerischen Höchstleistungen und Selbstverwirklichung. Sie malten Aquarelle und Skizzen; zurück in Deutschland auch Ölbilder. Sie waren begeistert! Die Werke der ‚Tunisreise‘ sind ein großartiges Vermächtnis und eine wahrhaftige Synthese von Orient und Okzident.
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