Mein Leben in Kairo – Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 2007 und 2008
Teil 2 | (Teil 1 hier)
Erfolgreiche Jobsuche
Einige Wochen waren vergangen und seitdem war viel passiert… Seit zwei Wochen arbeitete ich in Ägypten. Ich hatte einen sehr interessanten Job gefunden, der mich forderte und mir viel Spaß machte. Ich arbeitete für Sekem, eine Firma, die organic food herstellt. Freunde hatten mich auf die Firma aufmerksam gemacht: „Der Eigentümer ist mit einer Österreicherin verheiratet. Bewirb Dich doch mal bei ihm.“ – Sekem produziert Produkte wie Tee, Milch, Säfte, Nudeln, Reis, Müsli, Kaffee, Honig, Marmelade… alles auf ökologischer Basis; auch Gemüse und Obst sowie organische Kinderkleidung.
Nebenher bildet die Firma die Menschen aus den Nachbarorten aus, es gibt also Kindergärten, Schulen, Ausbildungen und eine Sekem Academy. So wie ich das heute sehe, ist das natürlich sehr sozial, in einem armen Land wie Ägypten, anderseits dient es auch dazu, dass diese Menschen dann später für Sekem arbeiten.
Seit vielen Jahren wollte der Gründer der Firma, Dr. Ibrahim Abouleish (Träger des alternativen Nobelpreises), eine Universität nach europäischem Vorbild eröffnen. Ich war verantwortlich für das Marketing, das Corporate Design und die Broschüren der Heliopolis University. Ich hatte ein kleines Fotoshooting mit Kollegen arrangiert, die quasi die Studenten mimten. Es war total lustig! Wir lachten viel und machten Bilder in der Cafeteria, im Garten, am Laptop und im Labor.
Das ganze Projekt war überaus spannend. Seit vielen Jahren war die Universität geplant und im September sollte sie nun endlich eröffnen. Es fehlte nur noch die „presidential permission“, die wir in den nächsten Wochen bekommen sollten.
Alles in allem war ich mit meinem neuen Job sehr zufrieden, die Arbeit machte mir Spaß und die Kollegen waren sehr nett. Die Firma lag außerhalb von Kairo in der Nähe vom Flughafen und damit fern vom Smog und Downtown Kairos – so wie ich es mir gewünscht hatte. Das war wirklich super! Zudem gab es mittags organic food. Ich war wirklich rundum zufrieden. Was für ein Glück hatte ich?
Menschen gingen hier meist viel netter miteinander um als bei uns. Sie waren überaus zuvorkommend. Auch im Geschäftsleben behandelten sich die Menschen freundlicher, wenn nicht gar freundschaftlich! Überall wurde gelacht und gescherzt. Das machte den ganzen Alltag lustiger und auch zu einem gewissen Maße einfacher. Zumindest empfand ich das so.
Auf der anderen Seite war die Unzuverlässigkeit der Menschen sehr negativ. Kollegen und auch Freunde vergaßen viel, und man musste sie immer wieder an Dinge erinnern. Man musste ihnen wortwörtlich „in den Arsch“ treten, wenn man erreichen wollte, dass sie etwas für einen erledigten. Und das war wiederum eine Eigenschaft, die ich überhaupt nicht schätzte.
Verabredungen wurden hier häufig kurzfristig abgesagt oder es wurde gar nicht erst Bescheid gegeben. Das fand ich überaus unhöflich. Gerade wenn man sich darauf gefreut hatte, mit Freunden etwas zu unternehmen, wurde häufig abgesagt. Es waren dann Ausreden wie: Ich bin zu müde, es ist zu heiß, ich muss mit meinen Eltern etwas erledigen. Das nervte mich sehr!
Vergnügen in Kairo
Die meisten Menschen gingen hier jeden Tag aus, und war es nur, um mit Freunden Shisha in einem der vielen „Achwas“ zu rauchen und „Tawla“ (Backgammon) zu spielen. Auch ich war eigentlich fast jeden Abend unterwegs.
Ich war echt glücklich mit meinem Leben in Kairo und war gerne mit den Menschen in meinem Umkreis zusammen. Innerhalb der Arbeit hatten wir eine nette, kleine Clique gebildet – Azraa, Iman, Nancy, Ismail, Ahmed und ich. Wir saßen mittags beim Lunch zusammen, gingen gelegentlich abends zusammen was trinken oder ins Kino. Wir machten sogar gemeinsam die South-Beach-Diät und unterstützten uns gegenseitig. An einem Tag waren wir mittags bei mir und hatten Eier, Kofta und Foul gekocht, da es in der Cafeteria fast ausschließlich Kohlenhydrate gab, also Reis und Kartoffeln.
Diese Clique war für mich etwas ganz Neues. So eine Clique hatte ich mir als junges Mädchen immer gewünscht, eine Clique à la „Beverly Hills 90210“. Aber irgendwie hatte ich meist immer nur einzelne Freunde. Umso mehr genoss ich jetzt dieses Gruppengefühl.
Letzte Woche kam das neue, lang erwartete Album des ägyptischen Superstars Amr Diab heraus. Es war echt wunderbar und erstaunlich, wie ein Star hier irgendwie die ganze Nation vereinte. Überall, wo man hinkam, erklangen seine neuen Songs: in den Cafés, in den Diskotheken, in Shops und natürlich aus den Autos. Ich fand das echt klasse, wo ich doch seine Musik auch so gerne mochte. Seine Musik riss einen einfach mit und machte gute Laune… Und das machte einem dann das lange Warten im Stau wieder etwas leichter.
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Audio-CD: The very best of Amr Diab
Taschenbuch ‚Das Wunder Kairo: Geschichten aus der Mutter aller Städte‘
Buch ‚Im Taxi – Unterwegs in Kairo‘
Eine heiße Sommernacht in Kairo:
Das Privileg, keine Ferienwohnung an der „North Coast“ zu haben
Das Leben in Kairo – das Leben wie auf einem Jahrmarkt…. Lärm, Verkehr, laute Musik, Gestank, Dreck! Und trotzdem war das Leben hier ein Wahnsinns-Ereignis. Heiße Sommernächte am Nil, aus den Autos tönte nur einer – Amr Diab! Unzählige Menschen standen am Nil und genossen die leichte Brise des Nils. Schlafen konnten die meisten eh nicht bei 32 Grad um 23 Uhr. Gab es doch nur für eine kleine Minderheit – die Oberschicht Ägyptens – die sich Air Condition leisten konnten. Anstelle sich also unzählige Stunden im Bett herumzuwälzen, machten die Menschen hier in Kairo die Nacht zum Tag… Sie spazierten über die Brücken des Nils, standen am Ufer, tranken eine Dose Cola, aßen dazu eine Tüte Popcorn oder ein Eis und machten das Beste aus diesen heißen Nächten.
Der Europäer wunderte sich bzw. bewunderte die Einheimischen. Waren viele doch mit so wenig zufrieden und genossen die freien Stunden am Nil. Montagnacht, 23 Uhr: es ging zu wie Samstagnacht nicht mal auf dem Berliner Kuhdamm… Die Straßen waren voll von Menschen, Autos, Taxis und Mikrobussen, Lichterketten, Musik, Popcorngeruch, Pferdekutschen – wohin man auch schaute, es gab überall etwas zu entdecken. Schiffe tuckerten gemütlich über den Nil, während sich auf den Brücken langsam der Verkehr bewegte…
Im Sommer – Juli und August – verbrachten Monsieur und Madame die Wochenenden am liebsten an der North Coast in Marina. Autokarawanen machten sich Donnerstagabend auf der Autobahn nach Alexandria auf den Weg nach Marina, nur um sich dann an den vollen Stränden wieder auf die Füße zu treten. Abends wurde in den Fastfood-Ketten Chillies, Carinos, Fishmarket und Studio Misr zu Abend gegessen. Was für ein Genuss? Nicht wirklich! Und Samstagabend waren dieselben Autokarawanen wieder auf dem Heimweg nach Kairo.
Gut für die Menschen, die trotz Hitze in Kairo blieben, entweder gezwungenermaßen oder eben um nicht stundenlang im Stau zu stehen. Es hatte ja auch nicht jeder das Privileg, ein Haus oder Apartment an der North Coast zu besitzen. Fast könnte man sagen, dass an diesen Tagen Kairo wie leer gefegt war… Naja, das war etwas übertrieben. Aber die Straßen waren in der Tat viel leerer als sonst. Und plötzlich machte die Fahrt nachts über die 6th-of-October-Bridge wieder Spaß – den Fahrtwind im Gesicht, die Großplakate und Unipols rechts und links, die vielen Moscheen und Kirchen. In der Ferne erblickte ich ein angestrahltes Kreuz, dass stolz aus der Steinwüste herausstach…
Glück im Unglück
Ende August erhielten wir bei Sekem die Nachricht, dass die Heliopolis University für das Jahr 2007 keine „presidential permission“ bekommen hatte und somit nicht eröffnen konnte. Ein schwerer Rückschlag! Wir waren alle sehr enttäuscht, auch wenn wir es in den vergangenen Wochen schon befürchtet hatten. Das Projekt wurde verschoben, mit der Konsequenz, dass einige Mitarbeiter Sekem verlassen mussten, ich eingeschlossen.
Glücklicherweise verstand ich mich mit meinem Vorgesetzten Engineer Mohamed sehr gut und er war von meinem Talent überzeugt. Er bot mir an, mich ans Canadian International College (CIC) mitzunehmen. Kurz darauf hatte ich ein Gespräch mit dem Präsidenten des Colleges, der sofort interessiert war, mich einzustellen. So hatte ich innerhalb ein paar Tagen einen neuen Job. Es schien, als sei in Ägypten das Glück auf meiner Seite.
Auch an der CIC fühlte ich mich sehr wohl und hatte nette Kollegen. Mit meiner Vorgesetzten Mariam (Marketing Supervisor) und der Kanadierin Jenny (Recruitment) teilte ich mir das Büro. Ich selbst trug den Titel Marketing Communications Senior Specialist und war für Design und Marketing des Colleges, sowie das College-Magazin „THE CICians“ zuständig. Auch die Arbeit mit den Studenten machte mir großen Spaß.
Pferdereiten an den Pyramiden
Mahmoud rief mich an und fragte mich, ob ich mit ihm und seinem Freund Hassan an die Pyramiden zum Pferdreiten kam. Oh wie aufregend! Davon hatte ich schon lange geträumt. Natürlich war mir etwas bange, schließlich hatte ich etwa 15 Jahre nicht mehr auf einem Pferd gesessen. Aber es lief eigentlich recht gut, auch wenn das Pferd oft nicht so wollte wie ich. Aber die Grundregeln waren erstaunlicher Weise noch vorhanden. Es war toll und irgendwie mystisch. Reiten an den Füßen der Pyramiden. Was für ein Erlebnis!
Wie viele Menschen hier seit Tausenden von Jahren schon herkamen, um die Pyramiden ehrfürchtig zu bestaunen? Wie die Pharaonen bzw. eigentlich das Fußvolk es damals schafften die Pyramiden zu bauen, ist bis heute ein ungelöstes Rätsel. Und angeblich wären wir heute immer noch nicht in der Lage, die Pyramiden zu rekonstruieren. Ist das nicht seltsam? Heute in der Zeit der Computer, der Mobiltelefone und des Internets…
Leider greift der Smog von Kairo sie von Jahr zu Jahr mehr an. Welch eine Tragödie! Ich kann nur hoffen, dass durch ein Wunder dieses letzte bestehende Weltwunder der Antike nicht auch noch zerstört wird.
Zurück zum Pferdereiten: Wir waren zwei Tage später am Abend gleich noch mal Reiten gegangen, diesmal in einer größeren Gruppe. Anfangs hatte ich eine Stute, die immer wieder scheute. Sie hatte wohl Angst vor einem toten Skelett eines Pferdes, das hier vor ein paar Wochen zu Tode kam. Leider wurden die Pferde hier von den Besitzern sehr schlecht behandelt. Wie grauenvoll! Und es gab noch nicht einmal jemand, der es für angebracht hielt, die Skelette der toten Pferde zu beseitigen.
Nach einer halben Stunde machten wir eine Pause auf einem Hügel in der Nähe der Pyramiden, hier gab es einen Mann, der Tee und Kaffee verkaufte. Mir gefiel es, nachts bei Mondschein dort oben zu sitzen und bei süßem Tee die Pyramiden zu betrachten. Auf dem Rückweg gab mir Mahmoud sein Pferd, es war ein Hengst. Etwas mulmig stieg ich auf und begann, den Hügel herunterzureiten. Mahmoud gab mir noch den Tipp, mich mit einer Hand am Sattel festzuhalten. Und plötzlich fing das Pferd an, loszugaloppieren. Anfangs etwas verunsichert und dann plötzlich mutig, ritt ich mit dem Pferd in einer irrsinnigen Geschwindigkeit davon… Alle anderen blieben zurück. Ich glaubte, wir waren mehrere Kilometer geritten ohne zu stoppen. Das Pferd lief wie der Teufel. Aber es war toll…
Später wieder zurück an den Ställen, kam Mahmoud auf mich zu und meinte: „Ich weiß nicht, wie das möglich ist, nachdem Du jahrelang nicht geritten bist… Aber Du hast von uns allen den besten Stil.“ Das war ein großes Kompliment und freute mich riesig. Vor allem weil das Kompliment von Mahmoud kam, der selber ein sehr guter und sicherer Reiter war. Es war wirklich ein aufregender Ausritt! Ich genoß mein Leben in Kairo in vollen Zügen.
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