Weiße Fassaden, kubische Bauformen, Flachdächer, klare, geometrische Formen oder einfach zeitlose Eleganz: Ganz Deutschland feierte 2019 ‚100 Jahre Bauhaus‘: die von Walter Gropius 1919 gegründete Kunstschule ist bis heute weltweit bekannt und ein Ausdruck der klaren, modernen Architektur. Ein Haus im Bauhaus Stil erkennt eigentlich jeder.
Doch wo holten sich Anfang des 20. Jahrhundert Architekten wie Gropius, Adolf Loos oder Le Corbusier Inspiration für diesen modernen Stil? Woher kam die Idee eines modernen Gebäudes aus weiß verputzen Kuben?
Der sogenannte Bauhaus-Stil ist älter als man denkt: Gropius und andere Verfechter dieses Baustils waren nicht die Erfinder von der weißen puristischen Bauform. Diese Art zu bauen gab es deutlich früher und hatte mehr als einen Ursprung.
Inspiration durch weiß gekalkte Wohnhäuser am Mittelmeer
Ein Ursprung liegt im Mittelmeer-Raum. Denkt an Santorin in Griechenland oder Tanger in Marokko. Was kommt Euch in den Sinn? Genau! Weiße, kubische Gebäude! Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in den nordafrikanischen Ländern Marokko und Tunesien und in europäischen Ländern am Mittelmeer, wie Griechenland oder Italien, weiß gekalkte Wohnhäuser. Diese kubischen, traditionell gebauten Häuser waren für viele Pioniere der modernen Architektur ein Inspirationsquelle.
So reiste beispielsweise der Architekt Josef Hoffmann 1897 nach Capri und baute 1904 das Sanatorium Westend in Pukersdorf in Wien, eines der ersten weißen Gebäude im modernen Stil in Mitteleuropa.
Adolf Loos bereiste im Mittelmeerraum den Balkan, Griechenland, Türkei, Algerien und Marokko und baute im Nachhinein das legendäre Haus am Michaelerplatz, ebenfalls in Wien. 1908 schrieb er folgendes: ‚Wir haben das ornament überwunden, wir haben uns zur ornamentlosigkeit durchgerungen. Seht, die zeit ist nahe, die erfüllung wartet unser. Bald werden die straßen der städte wie weiße mauern glänzen. Wie Zion, die heilige stadt, die hauptstadt des himmels. Dann ist die Erfüllung da.‘
Dem Maler Paul Klee fielen auf seiner berühmten Tunisreise 1914 ‚die streng rhythmischen weißen Hausformen‘ bereits bei seiner Ankunft in Tunis auf. Ein paar Tage später notiere er über die Stadt Hammamet folgendes: ‚Die Stadt ist fabelhaft, am Meer gelegen, winklig und rechtwinklig und wieder winklig.‘
Voyage d’Orient von Le Corbusier
Auch der berühmte Le Corbusier machte sich mit gerade mal 23 Jahren auf eine 6-monatige Rundreise. Von Istanbul war er begeistert. Die Stadt am Bosperus war das erste große Highlight seiner Reise. In Istanbul hüllte Le Corbusier sich in türkische Gewänder und versuchte die Denkweise der fremden Umgebung anzunehmen. Er besichtigte viele Moscheen in Istanbul und Bursa, schlenderte durch die türkischen Bazare und zeichnete orientalische Teppichmuster in seine Skizzenbücher. So schrieb er einst: ‚All diese Dinge befanden sich unter der erhabenen Tünche aus weißem Kalk. Die Formen waren klar; die fehlerlose Konstruktion zeigte ihre ganze Kühnheit.‘
Seine Voyage d’Orient sollte ihn stärker prägen als alle anderen Studienreisen. Der italienische Corbusier-Kenner Giuliano Gresleri war der Auffassung, dass in den Skizzen und Aufzeichnungen Le Corbusiers während dieser Reise ‚der Schlüssel für die künstlerische Entwicklung‘ des Genies lag.
J.J. Oud, ein Pionier des modernen Baustils in den Niederlanden und Mitglied der De Stijl Gruppe, baute nach nordafrikanischem Vorbild die Villa Allegonda in Katwijk aan Zee. Sie bestand auf asymmetrisch angeordneten, weißen Kuben.
Eine Ausstellung in New York ist der Beginn des ‚International Style‘
Mit der Ausstellung “Modern Architecture: International Exhibition“ im Museum of Modern Art in New York 1932, initiiert von Philip C. Johnson und Henry-Russell Hitchcock, avancierte der Bauhaus-Stil zum ‚International Style‘. Heute kennt fast jeder diesen Stil, doch die wenigsten wissen, wo die Künstler Walter Gropius, Le Corbusier, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Adolf Loos und viele andere sich ihre Inspiration zu diesem ‚International Style‘ holten.
Ich dachte immer, wenn ich moderne orientalische Bauten sah, wie beispielsweise das Museum of Islamic Art in Doha oder das Institut du monde arabe in Paris, dass deren Baumeister sich beim Bauhaus etwas abgeschaut hätten. Nun weiß ich, es war genau umgekehrt; ein weiteres Beispiel, wie sehr der Westen vom Orient profitierte und es bis heute noch tut.
2019: Ausstellung ‚Bauhaus Imaginista‘ im Haus der Kulturen der Welt.