Marokko war im vergangenen Jahrhundert ein stark umkämpftes Stück Erde. Die Portugiesen, die Spanier, die Franzosen, die Niederländer, nur um einige zu nennen, interessierten sich für dieses Land – so nah an Europa, und doch auf dem Kontinent Afrika. Eine gute Ausgangsbasis für die Eroberung des afrikanischen Kontinents. Deshalb hatten es viele europäische Großmächte auf Marokko abgesehen. Es wurde zum Zankapfel der miteinander konkurrierenden europäischen Mächte. Im November 1912 wurde das Land im Protektoratsvertrag in die Protektorate Französisch-Marokko und Spanisch-Marokko aufgeteilt. Dies war der Beginn der Kolonialisierung Marokkos durch Frankreich und Spanien. Die Stadt Tanger wurde sogar 1923 zur Internationalen Zone ernannt.
Nach Errichtung des französischen Protektorates und der damit einhergehenden Kolonialisierung Marokkos ernannte Frankreich Louis-Hubert Lyautey zum ersten französischen Generalresidenten in Marokko. Mit ihm hatte Marokko Glück im Unglück. Dem französischen Machthaber verdanken wir bis heute die Unversehrtheit der marokkanischen Altstädte. Aus Respekt vor der maghrebinischen Kultur bewahrte er diese Kulturgüter. Er verfügte, dass die französischen Städteplaner die Medinas Marokkos nicht anrühren durften. Lyautey beauftragte den französischen Architekten Henri Prost, die sogenannten Villes Nouvelles umzusetzen. Deshalb sind die meisten Städte Marokkos quasi zweigeteilt. So gibt es eine mittelalterliche Medina und eine Ville Nouvelle.
Medina: Auf den Spuren des Mittelalters
Eine aus Lehm und Beton gebaute Mauer umgibt jede Altstadt Marokkos. In all den Jahrhunderten war die Stadtmauer ein wirkungsvoller Schutz gegen Angreifer. Es gibt mehrere Zugangstore zur Medina, sie gleichen fast Triumphbögen. Im labyrinthartigen Gassengewirr können nur Esel, Maultiere und Karren als Fortbewegungsmittel und zum Warentransport verwendet werden. Zugegeben, gelegentlich jagt auch das ein oder andere Moped durch die Gassen. Aber trotz alle dem fühlt man sich in einer Medina Marokkos um Jahrhunderte zurückversetzt. Die faszinierendste und größte Medina Nordafrikas befindet sich in Fes. Die Medina Marrakeschs ist aber farbenfroher und mindestens genauso reizvoll und sagenumwoben.
Ville Nouvelle: Ein Hauch von Europa in Marokko
Im Zuge der Kolonialisierung Frankreichs gehen die Anfänge der Villes Nouvelles auf die 30er Jahre zurück. An den Fassaden als auch in den Innenräumen entwickelte sich ein einzigartiger architektonischer Stil, eine Mischung aus spanisch-maurischen Elementen, Jugendstil und Art Deco. Lyautey ließ jenseits der Medinas moderne Städte nach dem Muster der französischen Kolonialzeit erbauen. Für diese Zeit sehr fortschrittlich errichtete er moderne Neustädte, die durch gradlinige Avenues und zentrale Plätze gekennzeichnet waren. Diese Avenues waren oft als Achsen auf wichtige historische Gebäude angelegt. So ist beispielsweise die Koutoubia Moschee in Marrakesch bis heute von vielen Stellen der Stadt aus der Ferne sichtbar.
In dieser Zeit wurde auch die Infrastruktur Marokkos stark ausgebaut. Städte, aber auch dünn besiedelte Regionen an der Atlanitkküste, wurden miteinander verbunden. So entstand eine gut organisierte Wirtschaft in ganz Marokko. Lyautey wurde auch ‚Vater des modernen Marokkos‘ genannt. Er sah es als die Aufgabe Frankreichs, die Regierung Marokkos zu erhalten und dafür zu sorgen, dass sich das Land unter der französischen Kontrolle selbst verwalten konnte.
Ein marokkanischer König bestieg zweimal den Thron
1927 bestieg Sultan Ben Yusuf, bekannt als König Mohammed V., den Thron Marokkos. Er sympathisierte mit der Nationalbewegung. Diese strebte nach der Unabhängigkeit des Landes. Mohammed V. forderte in einer Rede 1947 unter seiner Führung die Vereinigung Marokkos. Indirekt rief er die Kolonialherrscher Spanien und Frankreich zum Rückzug Afrikas auf. Nach erfolglosen Verhandlungen setzte Frankreich Mohammed V. 1953 ab und schickte ihn nach Korsika und anschließend nach Madagaskar ins Exil.
Es sollte über vier Jahrzehnte dauern, bis Marokko wieder ein unabhängiges Land wurde. Somit erlangte Marokko die volle Unabhängigkeit von Frankreich und Spanien erst 1956 zurück. Nachdem Mohamed V. aus dem Exil aus Madagaskar zurückgekehrt war, wurde er 1957 erneut zum König Marokkos ernannt.
Städtebaulich hatte die Kolonialisierung viele positive Aspekte für Marokko. Frankreich brachte Modernität nach Marokko. Bis heute ist es eines der fortschrittlichsten Länder Nordafrikas, derzeit vermutlich das fortschrittlichste. Aber man darf nicht außer Acht lassen, mit welcher Grausamkeit die Kolonialmächte gegen die Befreiungskämpfer vorgingen. Jahrelange Kämpfe forderten unzählige Todesopfer. Die Städte Ceuta und Melilla an der nördlichen Mittelmeerküste Marokkos sind bis heute in spanischem Besitz. Vielleicht wäre es mal an der Zeit, diese beiden Städte an Marokko zurückzugeben.
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