Mein Leben in Kairo – Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 2007 und 2008
Der Entschluss
Ich hatte sehr viel Freude an meiner Arbeit in Kairo und ich hatte tolle Erfolge. In den letzten zwei Monaten hatten mein Team und ich eine neue Kampagne für die CIC entwickelt. Jetzt hatte das College ein ganz neues Image. Der neue Slogan lautete „We graduate professionals!“. Ich hatte dafür acht Studenten (vier Jungs und vier Mädchen) – formell gekleidet – in einem schicken Hotel in Kairo fotografiert. Es wurden echt tolle Fotos und ich war mächtig stolz auf die acht. Die Broschüre sah toll aus.
Auch meine Arabisch Kenntnisse waren in den letzten zwei Monaten viel besser geworden, da ich jetzt mehr mit meinen Freunden Arabisch sprach.
Aber meine Zeit in Kairo war nun doch begrenzt, denn ich würde Anfang Juli nach München zurückkehren. Zum jetzigen Zeitpunkt wusste ich nicht, ob ich mich freuen oder traurig sein sollte. Irgendwie war ich beides. Meine Freunde, mein Job, meine Sprachschule, das gute Wetter sowie die Wärme der Menschen und die Wärme des Landes würden mir sehr fehlen…. Der Dreck und der Verkehr würden mir nicht fehlen, die Unzuverlässigkeit der Menschen auch nicht.
Es war eine sehr schwere Entscheidung für mich nach München zurückzukehren. Lebte ich doch so gerne in Kairo… Aber irgendwie freute ich mich auch, wieder nach Hause zu kommen. Ob mich mein Weg irgendwann wieder in ein orientalisches Land führen würde, wusste nur Gott.
Ich liebte die Ägypter für viele Dinge: für ihre Ausgelassenheit, für ihre Unbeschwertheit, für ihre Freude am Leben. Und vor allem schätzte ich ihren starken Glauben an Gott (auch wenn das sicher nicht auf jeden zutraf).
Es war wirklich nicht leicht, zwischen zwei Mentalitäten zu stehen und sich evtl. für eine entscheiden zu müssen. Ich mochte beide Mentalitäten auf ihre Weise. Man sollte sich von beiden das Beste raussuchen. Aber in welchem Land ließ es sich letztendlich dauerhaft besser leben? Ägypten oder Deutschland? Oder gar in einem ganz anderen Land?
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Die Kehrseite der Medaille
In einem anderen Land zu leben, ist für jeden von uns eine Bereicherung; eine Erfahrung, die einen das ganze Leben lang prägt. Man sagt, jeder Mensch, der in einem anderen Land für eine gewisse Zeit lebt, erweitert in diesem Zeitraum seinen Horizont viel mehr als er das zur gleichen Zeit in seinem eigenen Land tun würde. Zudem lernt man die Kehrseite der Medaille und die Sichtweisen der Menschen einer anderen Kultur kennen. Es gibt nicht nur schwarz und weiß. Nur weil andere Länder andere Sitten haben, heißt das nicht, dass sie schlechter sind. In jeder Kultur gibt es Dinge, die gut sind und Dinge, die weniger gut sind.
Die Menschen sehen in Ägypten in meinen Augen vieles zu eng, z.B. dass die meisten unverheirateten Mädchen gegen Mitternacht zu Hause sein müssen. Wenn sie das nicht sind, werden sie von anderen Leuten als unsittlich angesehen. Das ist doch Unsinn! Natürlich gibt es auch gelegentlich eine Ausnahme und sie können etwas länger ausgehen, bei Hochzeiten beispielsweise. Ich kenne auch Fälle, wo Töchter bis spät nachts ausgehen dürfen, wenn ihr Bruder dabei ist. Mir wurde erklärt, dass man durch diese Regelung die Mädchen im Grunde nur beschützen wolle. Auf jeden Fall könnte ich es auf Dauer nicht ertragen, gegen Mitternacht zuhause sein zu müssen, wenn für die Jungs die Nacht gerade erst anfing… Ich hoffe, das wird sich in den nächsten Jahren relativieren.
In westlichen Ländern finde ich es wiederum furchtbar, wie viele junge Menschen sich sinnlos betrinken oder wie schnell sich manche auf einen One-Night-Stand einlassen. Im Grunde verkaufen sie sich doch selber… Natürlich wünsche ich mir für die ägyptischen Mädchen, dass sie länger ausgehen können, aber ist die andere Variante im Westen denn wirklich erstrebenswerter? In meinen Augen nicht.
Hier in Kairo merkte ich, dass sich einige vom Heiraten viel erwarten und hoffen, dass ein neues und besseres Leben mit einem Partner beginnt. Natürlich wünscht sich jeder von uns, den richtigen Partner zu finden und ihn zu heiraten. Dennoch denke ich, dass man so etwas nicht erzwingen kann. Wann der richtige Partner ins Leben tritt, das entscheidet Gott und nicht wir. Unser Bekannter Sherif war kurz davor, seine jahrelange Jugendfreundin Dalia zu heiraten, nur weil er niemand anderen fand und endlich heiraten wollte. Auch ich will wissen, wo ich hingehöre und sesshaft werden, ein Heim finden, eine Familie gründen, aber doch nicht um jeden Preis und nicht mit dem Nächstbesten…
Man muss natürlich bedenken, dass es in Ägypten üblich ist, bis zur Eheschließung bei den Eltern zu wohnen. Das ist aber auch oft in Italien oder Lateinamerika der Fall. Wenn ein Student allerdings von Alexandria nach Kairo zieht, oder umgekehrt, dann kann man diesem „Käfig“ entkommen. Ich muss zugeben, ich empfinde in diesem Fall die europäische Variante, in einer WG zu leben, als die Bessere. Selbst habe ich viele Jahre in WGs gelebt und es meistens genossen. Ich könnte es mir nicht vorstellen, bis zum heutigen Tag noch bei meinen Eltern zu leben. Sie wahrscheinlich auch nicht…
Fern von Kairo in der Wüste Sinai
Zusammen mit Mahmoud fuhr ich von Kairo nach Taba im Sinai. Wir wohnten im Camp Basata, ein ganz einfaches Camp mit Strohhütten, direkt am Strand. Basata wurde von einem Ägypter und seiner deutschen Frau geleitet: Eine Low-Budget Unterkunft vom Feinsten. Tagsüber hatte man die Möglichkeit, zu schnorcheln, zu schwimmen oder Wanderungen durch die Wüste Sinai zu machen. Abends konnte man entweder für sich selbst kochen, oder es gab die Möglichkeit, am Abendessen des Camps teilzunehmen…
Wir fuhren mitten in der Nacht mit dem Auto zum St. Katharinen Kloster, um den Mosesberg zu besteigen. Wir waren sehr spät dran, als wir ankamen, und mussten uns beeilen, den Gipfel noch vor Sonnenaufgang zu erreichen. Es gab auch die Möglichkeit, auf dem Rücken eines Kamels auf den Gipfel zu reiten. Wir wollten aber natürlich den Gipfel selbst erklimmen. Es war eine Völkerwanderung, ein Massentumult und trotzdem ein Ereignis zugleich. Man sollte sich den Aufstieg auf einer Ägyptenreise nicht entgehen lassen. Juden, Christen, Moslems und Andersgläubige, alle wollten sie auf den Moses Berg, an die Stelle, wo Moses die 10 Gebote empfangen haben soll.
Ich sah Moses buchstäblich vor mir, mit seinem langen Bart, seinem Stock und in einem sackähnlichen Gewand gekleidet, wie er den Berg bestieg. Es war stockdunkel, man konnte die Berge nur erahnen. Der Aufstieg im Dunkeln der Nacht: anstrengend und aufregend. Ohne Taschenlampe und gutes Schuhwerk war man hier aufgeschmissen. Trotzdem sahen wir eine Inderin, die tatsächlich barfuß den Berg erklomm. Eine Russin trug hohe Absätze! Zweieinhalb Stunden waren wir unterwegs.
Der Aufstieg lohnte sich. Schweißgebadet erreichten wir gegen 5.15 Uhr den Gipfel des Mosesberges. Es waren Massen von Menschen auf dem Gipfel. Erschöpft suchten Mahmoud und ich uns einen Platz. Gebannt blickten wir gen Osten, es war noch dunkel. Doch mit jeder Minute wurde es heller. Ich versuchte diesen Moment festzuhalten und machte ein Bild nach dem anderen. Nach einigen Minuten stieg die Sonne im Osten auf und füllte das Tal in rotes Licht. Es war atemberaubend! Die ganze Anstrengung war schnell vergessen. Später ging es an den Abstieg, der durch die Übernächtigung auch recht ermüdend war. Unten besuchten wir das St. Katharinenkloster. Als wir am Nachmittag im Camp ankamen, war ich fix und fertig und schlief in unserer Hütte sofort ein.
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Der Zauber Oberägyptens
Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, meine zweite Nilkreuzfahrt während meines Aufenthalts in Ägypten zu machen. Meine Cousine Charlotte war nach Ägypten gekommen und nun befanden wir uns auf einem Schiff von Luxor nach Assuan. Wie lange hatte ich davon geträumt, erneut eine Nilkreuzfahrt erleben zu dürfen?
Unser Schiff hieß Crown Jubileé. Die Zimmer waren liebevoll khakifarben eingerichtet, wenn auch etwas klein, aber wir waren ja schließlich auf einem Schiff. Wir waren in aller Herrgottsfrühe nach Luxor geflogen. Am Nachmittag wurden wir von unserem Reiseführer abgeholt und besuchten den Karnak und den Luxor Tempel. Am nächsten Morgen standen wir ganz früh auf, frühstückten und fuhren dann mit dem Motorboot auf die andere Seite des Nils. Weiter ging es mit dem Bus zum Tal der Könige. Wir sahen die Gräber von Ramses I., III. und IV. Danach ging es zum Hatschepsut Tempel. Atemberaubend, wie dieser Totentempel in den Fels gehauen war! Anschließend waren wir in einer Alabaster Fabrik, um Souvenirs zu erstehen. Am nächsten Tag standen Edfu und Kom Ombo auf dem Programm. In Assuan besuchten wir den Philae Tempel, den Unfinished Obelisk und ein nubisches Dorf.
Abu Simbel ließen wir uns natürlich auch nicht entgehen. Für mich ist Abu Simbel der absolute Höhepunkt Ägyptens. Diese vier berühmten Statuen von Ramses II. sind unheimlich majestätisch. Jede Statue ist über 20 m hoch! Man fühlt sich plötzlich wahnsinnig klein…
Gerade waren wir auf dem Deck des Schiffes und genossen die Sonne und ganz besonders die schöne Aussicht. Charlotte war von der Reling gar nicht mehr wegzubekommen. Der Nil, die Palmenhaine, im Hintergrund die Wüstenberge, kleine Dörfer zogen an uns vorüber – einfach unbeschreiblich.
Sonnenuntergang auf dem Nil, am Horizont war der Mond zu sehen, es war Vollmond; die Stimmung war überwältigend. Es waren die Gebetsrufe der Muezzine zu hören. Es war wie im Traum. Diesen Moment wollte ich tief in meinem Inneren festhalten. Waren es doch die letzten Stunden auf dem Nil, denn heute Nacht würden wir bereits Assuan erreichen und das Boot würde anlegen. Mein Herz weinte ein paar Tränen und wollte nicht wahrhaben, dass es in ein paar Wochen diesem Land Adieu sagen musste…
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Der Rückflug in die Heimat
8. Juli 2008, 2 Uhr früh: Ich saß am Flughafen in Kairo und hatte mich soeben von meinen Freunden Mahmoud, Amir, Hassan und Ahmed verabschiedet. Ich hatte mich sehr gefreut, dass so viele mit an den Flughafen gekommen waren. Nun befand ich mich in der Wartehalle. Allmählich wurde mir klar, dass ich nun Kairo für eine längere Zeit Lebewohl sagen musste. Ich weinte zum ersten Mal über diesen Abschied. Zuvor hatte nur Mahmoud Tränen in den Augen gehabt. Ich hatte ihn bisher nur ein- oder zweimal weinen gesehen. Es war eine Vernunftsentscheidung, einen Entschluss, den ich nicht für mich traf, sondern für meine Familie. All die Monate ging es mir mal besser, mal schlechter, wenn ich daran dachte, dass mein Abschied näher rückte.
Mein Flug wurde aufgerufen, es war einer dieser günstigen Nachtflüge von Tuifly. Traurig ging ich zu meinem Gate, wartete in der Schlange und gab dann der Stewardess mein Ticket. Nun gab es kein Zurück mehr. Es war 2.45 Uhr, als wir abflogen. Ich versuchte, etwas zu schlafen. Ich konnte es nicht. Auf meine Zeitschrift konnte ich mich auch nicht konzentrieren. Der Film, der gezeigt wurde, interessierte mich nicht.
Irgendwann musste ich wohl doch eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, blickte ich in den Sonnenaufgang… Wieder kamen mir die Tränen. Ich wischte mir die Tränen schnell weg, damit keiner sie sah. Doch sie kamen wieder. Dies war der Moment, in dem ich anfing, zu realisieren, was geschah. Ich würde mein Leben in Kairo sehr vermissen.
Nach kurzer Zeit wurde eine warme Mahlzeit serviert: Frühstück mit Eiern, Marmelade, Orangensaft und deutschem Brot. Auf das deutsche Brot freute ich mich sehr.
Gegen 6:30 Uhr morgens landeten wir am Münchner Flughafen, Terminal 2. Ich hatte mein Gepäck rasch gefunden. Draußen standen meine Eltern mit einem wunderschönen Strauß Blumen. Beide strahlten und nahmen mich in die Arme: „Herzlich Willkommen daheim!“ Ich lachte zurück, obwohl mir überhaupt nicht zum Lachen zumute war…
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